Definition

Wir unterscheiden im wesentlichen drei Formen von Essstörungen, nämlich die Anorexia nervosa, die Bulimia nervosa und die Binge Eating Störung (Essstörung mit Essanfällen). Essstörungen sind Verhaltensstörungen; Betroffene beschäftigen sich gedanklich und emotional übertrieben viel mit dem Thema Essen.

Die ANOREXIA NERVOSA ist die auffälligste und älteste, aber auch die seltenste der Essstörungserkrankungen; es gab sie schon immer und sie scheint in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Derzeit entwickelt etwa eines von 100 Mädchen und Frauen im Alter von 12 – 35 Jahren eine Magersucht. Besonders bei ganz jungen Mädchen (kindliche Anorexien), aber auch bei älteren Frauen scheinen Anorexien zuzunehmen.

Die BULIMIA NERVOSA tritt häufiger auf als die Anorexia nervosa. Man sieht sie den Betroffenen nicht an, da sie vollständig in der Heimlichkeit gelebt werden kann. Auch die Bulimia nervosa neigt wie die Anorexia nervosa zur Chronifizierung und unterscheidet sich von dieser – neben dem meist normalen Gewicht – durch das vorhandene Krankheitsgefühl. Beide Essstörungen haben die krankhafte Über- und Dauerbeschäftigung mit dem Essen und dem Körper gemeinsam, die der „Lösung“ oder auch „Deckelung“ verborgener, so nicht lösbarer seelischer Konflikte und der Spannungsregulation dient. Oft wird die Bulimie auch zentral zur Gewichtsregulation bei einem anlagebedingt für die Betroffenen „zu hohen“ Gewicht eingesetzt.

Bei JUNGEN UND MÄNNERN treten Essstörungen wesentlich seltener auf als bei Mädchen und Frauen; angegeben werden Häufigkeiten von 1:10 bis 1:20. Alles andere unterscheidet sich aber nicht, außer dass Männer im Vergleich zu Frauen in niedrigeren Gewichtsbereichen medizinisch höher bzw. rascher gefährdet sind bei einem naturgemäß niedrigeren Körperfettanteil. Sie wollen auch häufig nicht in erster Linie abnehmen, sondern durch übertriebenes Sportverhalten einen gestählten Körper aufbauen und verlieren darüber zusammen mit einer veränderten Ernährung an Gewicht.

Bei der BINGE EATING STÖRUNG (Essstörung mit Essanfällen), die in vielem einer atypischen Bulimia nervosa entspricht, fehlen im Unterschied zu dieser konsequent durchgeführte Gegenmaßnahmen gegen den dickmachenden Effekt des (Über)essens und der Essanfälle, so dass die Betroffenen typischerweise übergewichtig oder adipös sind und weiter zunehmen, dies auch trotz häufiger Diäten.

Essstörungen können ineinander übergehen, wobei ehemalige Anorexien auch mit Überwindung der Erkrankung eher nicht übergewichtig werden.

 

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Kennzeichen der Anorexia nervosa (F50.0)

  • erniedrigtes Körpergewicht:  bei über 16jährigen BMI < 17,5 kg/m²; bei unter 16jährigen < 10. BMI-Perzentile
  • selbst herbeigeführter Gewichtsverlust mit anhaltenden Verhaltensweisen, die eine Gewichtszunahme verhindern, dies auch noch in sehr niedrigen Gewichtsbereichen mit intensiven Ängsten vor einer Gewichtszunahme und/oder davor dick zu werden
  • Störung in der Körperwahrnehmung, womit eine Störung in der Sicht auf den eigenen Körper gemeint ist (Körperbildstörung)
  • übertriebener Einfluss des Gewichts auf die Selbstbewertung und andauerndes Fehlen einer realistischen Wahrnehmung einer Gefährdung mit Krankheitsverleugnung
  • primäre oder sekundäre Amenorrhoe und vermindertes sexuelles Interesse, bzw. bei den kindlichen Anorexien nicht Einsetzen der Pubertät

Subtypen (nach DSM IV)

  • Restriktiver Typ (asketische Form; F50.00): ohne wiederholte Essanfälle und ohne Erbrechen oder Einsatz abführender Maßnahmen
  • Binge Eating/Purging Typ (bulimische Form; F50.01): mit selbstinduziertem Erbrechen nach Essanfällen/Mahlzeiten. Abführmittel oder Diuretika werden besonders nach Heißhungerattacken unter der falschen Annahme eingesetzt, Kalorien wieder loswerden zu können und eine Gewichtszunahme zu vermeiden.

Abführmittel können Durchfall erzeugen und damit in erster Linie Wasserverluste; Diuretika (Wasser treibende Mittel) wirken nur an der Niere und haben so mit der Kalorienaufnahme/-verbrennung nichts zu tun. Sie bewirken Elektrolyt- und ebenfalls Wasserverluste mit der Gefahr von Herzrhythmusstörungen, Darmlähmung, Bluteindickung oder Ödemen. Die negativen Auswirkungen werden noch verstärkt bei einer gleichzeitig bestehenden Trinkstörung (wenig trinken zum Niedrighalten des Gewichts oder zu viel trinken als Ersatz für Nahrung).

Kennzeichen der Bulimia nervosa (F50.2)

  • Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, unwiderstehliche Gier nach Nahrungsmitteln, wiederkehrende Heißhungerattacken mit Essanfällen (Häufigkeit mindestens 1 x pro Woche über mindestens drei Monate mit einem Gefühl des Kontrollverlusts)
  • Wiederholtes Anwenden kompensatorischer Maßnahmen (Erbrechen/Abführmittel/Diuretika/Hungerphasen/übertriebene sportliche Aktivitäten) zur Vermeidung einer Gewichtszunahme (auch schon nach normalen Mahlzeiten oder kleinen Essportionen), im andauernden Kampf um ein niedriges Gewicht
  • Krankhafte Furcht zu dick zu werden; kleinliche zu niedrige Gewichtsgrenzen und übertriebener Einfluss des Gewichts auf die Befindlichkeit und Selbstbewertung
  • Häufig Periodenstörungen (Oligomenorrhoe = schwache und/oder seltene Periode)

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Kennzeichen der Binge-Eating Störung

  • Wiederholte Episoden von Essanfällen mit dem Gefühl des Kontrollverlustes (mindestens einmal in der Woche während drei Monaten)
  • Die Essanfälle sind verbunden mit Ekel- und Schuldgefühlen und deutlichem Leidensdruck
  • Kompensatorische Verhaltensweisen zur Korrektur des dickmachenden Effekts der Essanfälle/des Überessens werden nicht (oder zumindest nicht regelmäßig und nicht effektiv) eingesetzt

Die Binge Eating Störung unterscheidet sich von der Bulimia nervosa im wesentlichen dadurch, dass den Essanfällen nicht gegengesteuert wird und so die Betroffenen zunehmen und schwerst adipös werden können. Diese Essstörung geht, genauso wie die beiden anderen, mit einem gestörten Körpererleben einher und sollte bei den Betroffenen diagnostiziert werden, damit neben den Maßnahmen zur Gewichtsreduktion auch das psychische Problem bearbeitet wird und Belastungen durch eine schlechte Körper- und Selbstakzeptanz und Schamgefühle zu lindern.

Die Betroffenen brauchen ein ebenso intensives Psychotherapieprogramm zur Behandlung der Essstörung wie die anderen beiden Essstörungsformen auch.

Übergewicht und Adipositas sind aber nicht zwangsläufig mit einer Essstörung verbunden.

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