Im Gegensatz zu früheren Vorstellungen, dass sich die ADHS-Problematik mit der Pubertät »auswachsen« würde, geht man heute davon aus, dass bei 60-70% der Betroffenen auch im Erwachsenalter relevante Einschränkungen der Lebensqualität und insbesondere der Alltagsorganisation fortbestehen. Weiter wissen wir heute, dass ein Symptomwandel mit Abnahme der auffälligen (weil störenden)Hyperaktivität und Impulsivität in der Pubertät erfolgen kann, dagegen Probleme der Selbstorganisation und begleitende affektive Probleme, zumeist erst bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen symptomatisch werden können. Es ist wahrscheinlich, dass sich allenfalls 10-15% der Betroffenen der Diagnose oder möglicher Zusammenhänge dieser Problematik bewusst sind. Selbst in Fällen, bei denen in der Kindheit wegen Hyperaktivität oder komplexen Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen bereits eine Behandlung eingeleitet wurde, ist nur selten eine gezielte Behandlung bis nach der Pubertät fortgesetzt worden. Dies gilt besonders für M dchen bzw. Frauen, deren Symptomatik noch viel seltener in der Kindheit oder im Jugendlichenalter im Hinblick auf eine mögliche ADHS-Veranlagung untersucht wird.
Die lebenslange Erfahrung von ADHS bedingten Selbstregulations- und Verhaltensstörungen und damit verbundenen Problemen kann zu ernsthaften Selbstwertproblemen und Spannungen in den familiären und sozialen Beziehungen führen. In der klinischen Praxis fallen besonders Patienten (18 bis 40 Jahre) auf, die u.a. wegen affektiver Störungen und Überforderungssymptomen (z.B. »Burn-out«, Erschöpfungssymptomatik) auf übliche medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsangebote nicht ansprechen.
Häufig ist bei Vorliegen einer ADHS-Veranlagung ein »atypisches« buntes Beschwerdemuster mit einem raschen Wechsel von Symptomen der Depression, Ängsten oder Zwangssymptomen, Suchtproblemen und exzessiven Verhaltensmustern, einschließlich Essstörungen oder Impulskontrollstörungen zu finden. Die Abgrenzung zu Persönlichkeitsstörungen, besonders zur emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung, zu narzisstischen, dependenten und infantilen Störungen ist aufgrund überlappender diagnostischer Kriterien schwierig. Nicht selten liegt eine Komorbidität vor, d.h. mehrere seelische Erkrankungen bestehen nebeneinander.
Untypische somatische Beschwerden (unklarer morgendlicher Schwindel und Müdigkeit oder »paradoxe« Medikamenteneffekte) sind häufig. Viele ADHS-Patienten (über 50%) klagen zudem über Ein- und Durchschlafstörungen. Sie geben an, eigentlich erst frühmorgens müde zu sein und dann aber am Tag nicht ausreichend wach und leistungsfähig werden zu können. Gerade bei fremdbestimmten Anforderungssituationen (z.B. berufliche Mehrbelastung oder Konflikten) reagieren sie vermehrt mit Vermeidungsverhalten oder körperlichen Beschwerden und ziehen sich von Belastungen scheinbar unerklärlich zurück. Diese starken Schwankungen (oft mit wiederholten Krankschreibungen) führen bei vielen Betroffenen zu Ausfällen im Beruf bis hin zu Kündigung und sozialem Abstieg.
ADHS beeinflusst nachhaltig die Partnerschaft, was u.a. zu einer deutlich erhöhten Scheidungsrate beiträgt. Sexuelle Probleme sind häufig und können zu Beziehungsstörungen führen. Dabei kann einerseits eine verstärkte Appetenz mit hypersexualisiertem Verhalten bestehen und zu Paarproblemen führen, andererseits kann die Sexualität wegen der bestehenden Aufmerksamkeitsprobleme durch Erektions- oder Orgasmusstörungen negativ beeinflusst werden.
Vielfach fallen im stationären Rahmen auch chronische Schmerzsyndrome bzw. Fibromyalgie und Restless-Leg-Syndrome bei diesen Patienten als komorbide Störungen auf. Atypische migräneartige Kopfschmerzen und Spannungskopfschmerzen in relativen Ruhephasen (an Sonntagen oder bei Urlaubsbeginn) sind gehäuft zu finden.