Therapieziele / Rückfallprophylaxe

Das entscheidende Therapieziel ist bei allen Formen von Essstörungserkrankungen das Erreichen eines anhaltenden Verzichts auf das essgestörte oder anderweitig selbstschädigende Verhalten. Dazu bedarf es parallel zur medizinisch-therapeutisch begleiteten Wiederernährung einer Bearbeitung der innerseelischen Konflikte und äußeren Lebensbelastungen, die das selbstbeschädigende Verhalten bedingen und aufrecht erhalten und nach neueren Untersuchungen vor allem auch einer Modifizierung des Denkstils. Die Defizite in der nicht altersgemäßen Persönlichkeitsentwicklung, gekennzeichnet durch einen auffallenden Mangel an gesunder Selbstbehauptung und Identitätsbildung, müssen überwunden werden, damit ein „normales“ Leben gelebt werden kann und dieses nicht als eine andauernde Überforderung von den Betroffenen wahrgenommen wird.

Begleitet werden muss dies vom Wiedererlangen eines angemessenen Körpergewichts und Essverhaltens und der Bearbeitung der typischen und oft schwer zu beeinflussbaren Körperbildstörung, womit eine falsche Sicht auf den eigenen Körper oder bestimmter problematisch erlebter Körperteile gemeint ist.

Im Einzelnen heißt das für anorektische Patientinnen das Erreichen des Normalgewichtsbereichs (untere Normalgewichtsgrenze bei BMI 18,5 oder der 25.PZ bei den unter 16 Jährigen, bei Männern BMI 19 oder das Erreichen der 25. BMI-PZ wieder bei den unter 16-Jährigen) mit normalisiertem Essverhalten. Bei Mädchen und vor allem jüngeren Frauen heißt das auch das regelmäßige Wiedereintreten oder erstmalige Auftreten der Monatsblutung ohne Hormoneinnahme, einhergehend mit einer normalisierten ovariellen Funktion (bedeutet Eisprung und wäre durch einen gynäkologischen Ultraschall in Zyklusmitte erfassbar).

Abhängig vom Ausmaß und der Dauer der Essstörungserkrankung kann dieses zur Gesundung unbedingt notwendige und nicht aufschiebbare Therapieziel oft nur unter (auch wiederholten) stationären Bedingungen (störungsspezifisch arbeitende psychosomatische Kliniken oder auch in stationär betreuten Wohneinrichtungen für Essstörungen) erreicht werden.

Kürzere stationäre Therapiezeiten scheinen dadurch möglich, dass mit Überschreiten der Anorexiegrenze (BMI 17,5 oder bei den unter 16-Jährigen der 10. BMI-PZ) Entlassungen erfolgen und stationäre Intervallaufnahmen geplant werden, für den Fall, dass die Gewichtsnormalisierung mit ambulanten Mitteln oder in betreuten Wohneinrichtungen für Essstörungen nicht in einer angemessenen Zeit (im nächsten Viertel Jahr) möglich ist.

Eine Aufnahme in eine betreute Wohneinrichtung für Essstörungen erfordert als Aufnahmevoraussetzung üblicherweise ein Minimalgewicht von BMI 17,5 bzw. der 10. BMI-PZ.

Bei den Patientinnen mit einer Bulimia nervosa liegt das stationäre Therapieziel ebenfalls im anhaltenden Verzicht auf selbstschädigendes Verhalten, in der Wiederaufnahme eines (individuell) normalisierten, regelmäßigen Ernährungs- und Bewegungsverhaltens und einer Gewichtsstabilisierung mit der therapeutisch geführten Auseinandersetzung um das angestrebte Wunschgewicht. Ein solcher Verzicht macht die Bearbeitung des zugrunde liegenden spezifischen Persönlichkeitsproblems mit einer Affektregulationsstörung erst möglich, ohne die der nächste Rückfall vorprogrammiert wäre.

Bulimisches Verhalten wird zur Spannungs- und/oder Gewichtsregulation eingesetzt

Zusammenfassend geht es für alle Formen von Essstörungserkrankungen

  • um die Gewichtsnormalisierung und die Auseinandersetzung mit dem individuell erforderlichen gesunden Normalgewicht
  • um den anhaltenden Symptomverzicht ohne Symptomverschiebung und die Normalisierung des Ess- und Bewegungsverhaltens
  • um den Abbau der dies begleitenden Fehlüberzeugungen mit der Flexibilisierung eines zu sehr auf Details orientierten Denkstils
  • um die Bearbeitung der der Essstörung zugrunde liegenden Persönlichkeitsprobleme, die eine altersentsprechende Lebensführung verhindern
  • um die Bestandsaufnahme und Mitbehandlung der medizinischen und psychischen Folgen des Hungerzustandes/der Essstörung
  • um die Bearbeitung der zwischenmenschlichen Probleme und der Folgen im Familiensystem, dem Schul- und Berufsumfeld
  • um die Rückfallprophylaxe durch ein individuell erarbeitetes Langzeittherapieprogramm unter Miteinbezug der wesentlichen Familienangehörigen v.a. bei den Jüngeren und um eine Verhinderung der Chronifizierung
  • um die Förderung der sozialen und beruflichen Integration und ein „Nachholen“ verpasster Entwicklungsschritte

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