Folgen

Essstörungen sind seelische Krankheiten, die zu sekundären medizinischen und psychischen Folgen führen.

Eine Anpassung an Mangel- und Unterernährung führt bei Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und beim experimentellen Fasten zu ähnlichen Veränderungen. Die Unterschiede sind mehr quantitativer als qualitativer Natur und hängen von der Art, dem Ausmaß und der Dauer ab.

Eine Mangel- und Unterernährung entwickelt sich mit dem Übergang in den Zustand des Verhungerns zu einer zunehmenden Hormon- und Stoffwechselkrankheit mit Auswirkungen auf nahezu alle Organsysteme:
Akute Probleme oder Schäden beziehen sich auf das Herz-Kreislaufsystem. Besonders gefährlich ist dabei die Kombination: Hungern, Kaliummangel, körperliche Aktivität. Außerdem kann, bevorzugt vor dem rechten Herzen, ein Perikarderguss (Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel) auftreten. Chronische Schäden betreffen bevorzugt den Knochen (Osteoporose), die Nieren und die Zähne (letztere bei den bulimischen Patientinnen). Auch das Körperlängenwachstum kann verzögert sein. Zunehmend werden als chronische Folgen des Hungerzustandes auch überdauernde Probleme um spätere Schwangerschaften und Geburten berichtet. Ein chronisch erniedrigtes Gewicht geht mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.

Eine Mangel- und Unterernährung hat auch psychische Folgen: die typische, vermehrte gedankliche Beschäftigung mit Nahrung mit z. T. intensiven Sorgenprozessen und die gesteigerte motorische Aktivität, der Bewegungsdrang Magersüchtiger. Beides wird nicht nur als unsinnige oder absichtlich den Energieverbrauch steigernde Reaktion der Betroffenen angesehen, sondern scheint auch hormonelle Gründe (erniedrigter Leptinspiegel im Hungerzustand) zu haben. Entwicklungsgeschichtlich gesehen machen beide Verhaltensweisen das Auffinden von Nahrung wahrscheinlicher.

Der Bewegungsdrang Magersüchtiger kann Schuldthematiken beinhalten mit der Überzeugung, sich Essen erst über Bewegung verdienen zu müssen. In Bewegung zu sein kann auch dazu eingesetzt werden, Gefühle von Unruhe abzumildern oder das Gefühl, sich nicht aushalten zu können, so ein verzehrendes „sich Getriebenfühlen in Ruhesituationen“, das auslösend sein. Aber auch Zwänge können dazu führen, dass immer gleich viel oder täglich mehr Bewegung ausgeführt werden muss.

Der Hungerzustand kann als weitere Folgen eine ungewöhnliche Nahrungsauswahl, aber auch einen (vermehrten) Substanzgebrauch (Alkohol, Drogen, Nikotin, Kaffee) nach sich ziehen. Zwanghafte Verhaltensweisen, ritualisiertes Essen, erhöhte Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen führen dazu, dass wir den Betroffenen vom Schulbesuch oder einer Berufstätigkeit im anorektischen Gewichtszustand (immer < BMI 17,5 oder < 10.PZ) abraten. Eine Mangelernährung scheint über psychobiologische Mechanismen auch die Wahrscheinlichkeit impulsiven Verhaltens (Aggressionsschübe mit gewalttätigen Durchbrüchen, Selbstverletzungen) erhöhen, aber auch reduzieren zu können. Bulimisches Verhalten ist typischerweise – abhängig vom Ausmaß – mit erheblicher körperlicher Erschöpfung verbunden.

Aber medizinische Folgen sind nur Begleitsymptome und nicht das verursachende Problem. Sollten Komplikationen auftreten, erfordern diese zum Teil schon aus lebenserhaltenden Gründen eine medizinisch angemessene Behandlung. Aber jede Behandlung der nur medizinischen Seite bleibt einseitig und nicht nachhaltig, wenn sie nicht auch an den Ursachen der Störung angreift. Aufgrund der Natur der Erkrankung brauchen auch schwerst Erkrankte von Anfang an eine störungsspezifische Behandlung, die der zugrunde liegenden seelischen Störung und dem professionellen Umgang mit dem sich auffällig verhaltenden Betroffenen Rechnung trägt.

Medizinische Folgen und Komplikationen, wie schwerwiegend sie auch
immer sein mögen, sind ein Epiphänomen, ein Begleitsymptom und nicht das eigentliche verursachende Problem.